magie des fremden
Ich las die Nachricht im November vergangenen Jahres: „20 Sekunden zu früh: Bahngesellschaft in Tokio entschuldigt sich.“ Es war gegen Viertel vor zehn Uhr morgens. Rush-Hour am Minami-Nagareyama-Bahnhof von Tokio. Hunderte Menschen warteten auf den „Tsukuba Express“. Der Zug fuhr ein, die Menschen stiegen zu, die Türen schlossen sich. Doch statt um 9.44 Uhr und 40 Sekunden abzufahren, setzte sich der Zug laut der britischen Tageszeitung „The Daily Mail“ bereits um 9.44 und 20 Sekunden in Bewegung. Undenkbar in Japan. Die Bahngesellschaft Metropolitan Intercity Railway Company entschuldigte sich später auf ihrer Webseite für den Zwischenfall. Die Zugführer seien verantwortlich gewesen, hieß es. Man habe sie angewiesen, ihre Anweisungen in Zukunft korrekt einzuhalten, die Abfahrtszeit stets genauestens zu prüfen und den Abfahrvorgang exakt durchzuführen, damit sich so etwas nicht wiederholt.
Diese Meldung sagt vieles über Japan und die uns so fremde Kultur. Sie führt uns deutschen Perfektionisten wahre Perfektion vor Augen. Japan ist die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde. Die modernsten Kameras der Welt, die neuesten Elektronikartikel, viele der weltweit begehrtesten Automodelle und Motorräder: All das wird im Land der aufgehenden Sonne produziert. Japan ist die Heimat des Shinkansen, mit dem vor mehr als 50 Jahren die Ära der Hochgeschwindigkeitszüge begann. Die Magnetschwebebahn JR-Maglev bricht mit mehr als 600 Stundenkilometern alle Rekorde. Ab 2027 soll sie Tokio mit der Industriestadt Nagoya verbinden, ab 2045 weiter nach Osaka führen.
Doch Japan ist nicht nur das Land hochmoderner Technologien, sondern auch das Land der Ästhetik, der Sensitivität und der Reduktion. Kurzum: ein Land der Gegensätze. Da ist die schillernde Mega-City Tokio, die alles andere in den Schatten stellt. Da ist der Fudschijama, mit 3776 Metern der höchste Berg des Landes, über den der japanische Dichter Matsuo Basho (1644-1694) einmal schrieb: „Wolken und Nebel zaubern jeden Augenblick hundert Kulissen.“ Und da ist die geheimnisvolle Kaiserstadt Kyoto mit ihren tausend Tempeln und Schreinen, die trotz nur 1,5 Millionen Einwohnern jedes Jahr 50 Millionen Besucher zählt. Japan elektrisiert, fasziniert, verzaubert. Zwei Jahre vor den Olympischen Sommerspielen in Tokio 2020 erlebt das Land derzeit einen regelrechten Boom. Der Tsunami von 2011 und die Reaktorkatastrophe von Fukushima sind nicht vergessen. Mit Hilfe der geschickten Kommunikation der Regierung ist das Thema aber weitgehend aus der internationalen öffentlichen Diskussion verschwunden. Züge, Busse, Hotels, Restaurants und Geschäfte arbeiten längst wie vorher. Davon profitiert auch der Tourismus. Gerade das Luxus-Segment boomt, denn Japan ist nicht nur Vorreiter in Sachen High-Tech, sondern auch, was neue touristische Ideen angeht.
Da ist zum Beispiel der Luxuszug Shiki-shima, der von Tokio aus zu mehrtägigen Touren zur nördlichen Hauptinsel aufbricht. Das champagnerfarbene Raumschiff bietet neben einer spektakulären Panorama-Lounge und verschiedenen Typen von Suiten auch eine eigene Maisonette-Wohnung für besonders betuchte Gäste. Dem Ambiente angemessen kreieren Sterneköche an Bord die feinsten Speisen, das Personal kredenzt dazu erlesene Weine. Oder das schwimmende Ryokan Guntû, ein Luxusschiff, das es so wohl nur einmal in Japan gibt: Der 81 Meter lange Luxuskreuzer mit Platz für nur 38 Gäste wurde von Architekt Yasube Horibe entworfen – und aus fast einem Dutzend verschiedenen Holzsorten gebaut. In der Küche kocht Kenzo Sato vom renommierten Tokioter Restaurant Shigeyshi. Der schwimmende Ryokan startet in der Hafenstadt Onomichi und kreuzt auf sechs unterschiedlichen Routen auf der Seto-Inlandsee, dem Binnenmeer, das die japanischen Inseln Honshu, Shikoku und Kyushu voneinander trennt.
Und auch sonst passiert in Japan touristisch derzeit unglaublich viel. Im Land finden sich einige der besten Hotels Asiens. Dazu zählen das berühmte Imperial Hotel in Tokio, das Mandarin Oriental sowie das wunderschöne Aman-Hotel im Tokioter Stadtteil Otemachi, ein bis ins letzte Detail durchdesigntes Haus mit Pool im obersten Stockwerk und fantastischem Blick auf den Kaiserpalast. In einem Ranking Japans schönster Hotels nicht fehlen dürfen die beiden wunderbaren Häuser von Ritz Carlton und Four Seasons in Kyoto. In der Kaiserstadt eröffnen 2019 übrigens zudem ein neues Aman-Hotel und ein Park Hyatt. Als Kontrast zu den Hotels in Kyoto und in Japans hektischer Hauptstadt strahlt das wunderbare Ryokan Gora Kadan in Hakone an der Südostküste, ein traditionelles Ryokan mit heißen Quellen und dem perfekten Blick auf den Fudschi, eine geradezu himmlische Ruhe aus.
Eines der wohl schönsten Hotels Japans aber gehört zur Aman-Gruppe. Das Amanemu liegt in zauberhafter Lage im Ise-Shima-Nationalpark an der Ago-Bucht. Das 2016 eröffnete Haus ist nicht nur Amans Resort-Highlight in Japan, es ist auch unmittelbar an die heißen Thermalquellen des Nationalparks angebunden. Das exklusive Resort verfügt über private Thermalbecken in jeder Suite, einen riesigen Spa-Bereich und – quasi als Sahnehäubchen oben drauf – auch über einen der besten 18-Loch Golfplätze des Landes.
Das ist das Schöne an Japan: Das Land hat alles zu bieten. Von Hektik bis Entspannung, von Sport bis Besinnung, von protzig bis minimalistisch. Als Gast aus dem Westen betritt man einen völlig neuen Kosmos. Auf der Straße darf nicht geraucht werden, in den Kneipen aber qualmen junge wie alte Japaner und trinken literweise den Reiswein Sake. Es gibt unzählige unausgesprochene Regeln: Parfüm zu tragen ist tabu. Auf keinen Fall sollte man zu spät kommen, um sein Gegenüber nicht warten zu lassen. Die Stäbchen dürfen nach dem Essen niemals in den Reis gesteckt werden, weil das Unglück bringt. Doch genau diese Gegensätze sind es, die Besucher so faszinieren. Japan steckt in jedem Augenblick voller Überraschungen. In diesem Sinne: Nihon e yokoso oder herzlich willkommen!